Hallo Sven.
Sehr erstaunt habe ich Deine Mail und Deinen Blogpost gelesen.
Ich habe Dich vor ein paar Monaten als sehr engagierten Piraten kennengelernt. Das war lange bevor in NRW über Neuwahlen gesprochen wurde,
ich glaube sogar noch vor der Parlamentsauflösung im Saarland. Du hast
Dich damals bei mir gemeldet, weil Du in der Öffentlichkeitsarbeit,
vielleicht auch als persönlicher Assistent
bei mir mitarbeiten wolltest. Ich war erfreut, einen so motivierten
Piraten gewonnen zu haben, der programmatisch und organisatorisch
richtig viel machen will. Ich hatte den Eindruck, dass Du Dich gut in
die Partei einarbeitest, langsam lernst wie Piraten ticken und auch
sonst etwas auf dem Kasten hast. Dass Du für die Liste in NRW
kandidieren wolltest, habe ich erst durch Deinen Blogpost erfahren. Was
kein Problem ist, es war mir nur neu. Hätte ich es gewusst, hätte ich
Dir vielleicht davon abgeraten. Und weil ich vorher die Chance dazu
nicht hatte, möchte ich das nun nachholen - auch wenn es schon zu spät ist.
Du
beschreibst Methoden, die auch ich nicht gutheißen kann - auf die ich
hier aber explizit nicht eingehe - ich war nicht dabei, ich kann und
will diese Situation aus der Ferne nicht beurteilen. Aber Du klagst die
Piraten auch an, sie würden sich als Mitmachpartei darstellen, aber
diesem Anspruch nicht gerecht werden. Dem möchte ich heftig
widersprechen. Und weil dieses Thema mir - und im Moment sicher auch
vielen anderen Piraten - wichtig ist, tue ich das öffentlich.
Du
warst nach Deinem Blogbeitrag drei Monate lang in der Piratenpartei
aktiv. In dieser Zeit hast Du in der Öffentlichkeistarbeit der
Bundespartei (SG Presse & SG Webseite) mitgearbeitet. Du hast die
Koordination einer AG übernommen und dort an unserem Programm
gearbeitet. Du hast mit mir direkt zusammengearbeitet (wenn auch nicht
viel) und dort zumindest eine wichtige Aufgabe übernommen. Zuletzt hast
Du im Wahlkampf mitgeholfen. Wie einfach ist es, denkst Du, in den
"großen" Parteien an PMs mitzuschreiben oder die Leitung einer
Arbeitsgruppe zu übernehmen? Du hast an so vielen Stellen innerhalb der
Piratenpartei die Möglichkeit zum Mitmachen genutzt, dass ich mich
ernsthaft frage, wie Du den Mitmachcharakter der Piraten noch in Frage
stellen kannst.
Du
machst Deine Anklage daran fest, dass Deine Tätigkeit, Deine Pläne,
Deine Agenda für die Listenwahl in NRW nicht relevant waren. Dass
lediglich nach der Dauer der Mitgliedschaft gefragt wurde. Ich kann
verstehen, dass Dich das frustriert - aber versetz Dich einmal auf die andere Seite:
Es
gab in NRW weit über 100 Kandidaten. Viele von diesen waren dem
Großteil der Piraten unbekannt. Die "alten" kennen sie noch nicht, die
"neuen" selbst ebensowenig. Die Neuwahl wurde, wie es in ihrer Natur
liegt, kurzfristig angesetzt. Dementsprechend ist wenig Zeit, sich mit
den einzelnen Kandidaten zu beschäftigen, keine Zeit sie kennenzulernen
und sie bei der Arbeit zu beobachten, ihr Engagement, ihre
Aufrichtigkeit zu beurteilen. Keine Zeit, Vertrauen aufzubauen. Aber
Vertrauen ist notwendig, um eine so wichtige Aufgabe wie einen
Listenplatz - und damit potentiell ein Mandat im Landtag - für die
Piraten zu übernehmen. Dort spräche man für den gesamten Landesverband,
alles was man dort tut fällt mindestens auf den LV, wenn nicht auf die
Gesamtpartei zurück. Ganz zu schweigen davon, dass unsere Abgeordneten auch unsere Wähler vertreten!
Es
ist nur verständlich, dass die Piraten dort Parteimitglieder haben
möchten, denen sie vertrauen. Du kennst vielleicht die Geschichte
unserer Partei nicht so genau. Aber google mal nach dem Namen Aaron
König, zum Beispiel. Oder schau Dir gewisse Mandatsträger in Mecklenburg oder Niedersachsen
an. Die Piraten sind in dieser Hinsicht gebrannte Kinder. Sie sind
inzwischen zu groß, um sich noch mehr solche Ausfälle zu leisten. Diese
Listenplätze sind zu wichtig, um das Risiko einzugehen, dort Idioten
hinzuwählen. Und genau darum ist Vertrauen an dieser Stelle der
Schlüssel zu allem.
Du
solltest bei Deiner Tätigkeit in der Partei eigentlich gemerkt haben,
dass wir Piraten Neumitgliedern grundsätzlich ziemlich viel Vertrauen
entgegenbringen. Üblicherweise werden Neupiraten, die sich engagieren
möchten, mit offenen Armen empfangen und schnell eingebunden, können
Aufgaben und Verantwortung übernehmen - so wie Du in der AG
Friedenspolitik, zum Beispiel. Aber mit wie vielen Piraten hast Du in
Deinen drei Monaten Tätigkeit zusammengearbeitet? Wie viele Mitpiraten
können beurteilen, wie ernst Du Dein Engagement meinst, ob Du wirklich
langfristig dabei bleibst und wo die Schwachstellen in Deiner
Persönlichkeit liegen?
Die
Art Vertrauen, die für einen Listenplatz oder auch einen
Vorstandsposten notwendig ist, muss man sich erarbeiten. Mitmachen
können bedeutet eben nicht, alles auf dem Goldtablett dargeboten zu
bekommen nur weil man es gern hätte. Nur engagiert zu sein genügt nicht.
Nur Ideen zu haben genügt nicht. Man muss diese - gerade in der
Politik! - auch bekannt machen, für sich und die eigenen Vorstellungen
Werbung machen, Mitstreiter suchen, sich in die Gruppe eingliedern. Um
für eine große Gruppe - wie zum Beispiel einen LV - Verantwortung zu
übernehmen, sollte man in diesem zumindest bekannt sein. Du solltest die
Piraten nicht nur im Nachbardorf kennen, sondern die Piraten landesweit
sollten zumindest eine Vorstellung davon haben, wer Du bist und was Du
tust. Du solltest das nicht in einer Kandidatenvorstellung erklären
müssen - die Piraten sollten das bereits wissen, wenn sie Deinen Namen
auf der Kandidatenliste lesen. Die Gruppe muss Dir ein tiefes Vertrauen
entgegenbringen - das erzeugt man nicht durch eine gute Vorstellung,
sondern nur durch gute, langfristige Arbeit! Die beste Agenda hilft
nicht, wenn sie niemand kennt - vor allem, wenn es eine von 150 Agenden
ist.
Die
"Alten" unter uns, selbst die nach dem Mitgliederschub von 2009, hatten
inzwischen Zeit sich kennenzulernen. Die Aktiven haben sich hervorgetan
und Vertrauen gewonnnen. Fast alle Piraten, die in Vorständen oder
Beauftragungen tätig sind, sind in diese Position gekommen, indem sie
sich dort hin gearbeitet haben. Nicht gekatzbuckelt oder intrigiert,
nicht gekauft. Sie haben sich in der überwiegenden Mehrheit durch
andauernde und stetige Arbeit einen Namen gemacht. Sind bekannt
geworden, weil sie etwas geleistet haben und haben sich damit das
Vertrauen der Gesamtgruppe - egal auf welcher Ebene - verdient. Das
schlug sich in Ämtern, Verantwortung und schließlich auch in Mandaten
nieder.
Mitmachpartei
zu sein bedeutet zwar, dass jeder Neupirat auf jeder Ebene mitarbeiten kann, aber nicht, dass jeder sofort auf jede Position gewählt wird. Weder
wird ein Neupirat Bundesvorstandsvorsitzender werden, noch wird ein im
Land weitgehend unbekannter Pirat für uns in den Landtag gehen. Weil wir
ihm vertrauen können müssen. Das trifft dann auch Leute die es nicht
treffen sollte. Ich bin sicher, dass einige nach dem Erfolg in Berlin
beigetretenen Piraten für Posten geeignet sind. Aber wir können eben
nicht wissen wer. Und im Vergleich zum Risiko, Kuckuckseier
in Parlamente zu schicken, ist der Preis bei diesen auf die Wahl zu
verzichten eher klein. Wenn Du ein wenig gewartet hättest, Dich
eingearbeitet und dieses Vertrauen verdient - ich bin sicher, dass Du das hättest schaffen können - dann hättest Du einer dieser Piraten werden können.
Liebe Grüße,
Gefion