Tuesday, 11 October 2016

Das Internet in demokratischen Entscheidungsprozessen

This post was written for the Green Party Germany, following the publication of my first paper about my research with them in 2016. The original post can be found on their participation blog.

Das Internet ist von sich aus ein exklusives Medium: Nicht alle haben Zugang, und diejenigen, die Zugang haben, haben nicht denselben Nutzen daraus. Das ist problematisch im Hinblick auf Demokratie, für die es wichtig ist, dass alle gleichberechtigt teilhaben können. Die Grünen sind sich dieser Problematik bewusst – das ist der wichtigste Schritt in Richtung Onlinepartizipation.


Das Internet ist ein neuer Faktor in innerparteilichen Entscheidungsprozessen. Für meine Masterarbeit habe ich letztes Jahr untersucht, wie Parteien das Internet in ihren Entscheidungsprozessen benutzen – am Beispiel von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Piratenpartei. Ich bin davon ausgegangen, dass diese Prozesse sowohl eine formelle (Satzung) als auch informelle (was tatsächlich passiert) Ebene haben und die Parteien sich anhand der Einbettung von Onlinemethoden in ihre Entscheidungsprozesse unterscheiden. Das hat sich als richtig herausgestellt.

Was aus meiner Arbeit sehr deutlich wurde, ist, dass die Grünen das Internet aus anderen Gründen, mit anderem Anspruch und einer anderen Zielsetzung verwenden als die Piraten. Letztere nutzen zwar unzählige Tools, um die herum sie Prozesse definieren, aber sie haben kaum Regeln dafür. So werden beispielsweise alle Anträge über ein Wiki gestellt, aber dass dem so ist, ließe sich aus der Satzung nicht erkennen. Jedes Mitglied (und zumeist auch Nichtmitglied) kann sich online einbringen, diskutieren, Anträge stellen, kandidieren – und muss das tun, denn reguläre Beteiligung jenseits des Internets ist kaum möglich. Tatsächliche Entscheidungen werden hingegen auf Bundesparteitagen getroffen, auf denen nur diejenigen abstimmen können, die persönlich anreisen. Das führt zu einer ganzen Reihe von Problemen.

Bei den Grünen sieht das anders aus. Es gibt keine Batterie an Tools für alle möglichen Begebenheiten, es gibt schlicht nicht so viel zu regeln – und das ist Absicht. Es wird nicht einfach etwas Neues eingeführt oder von jemandem gebaut, was dann genutzt wird. Dafür wird das, was es gibt – insbesondere das Antragstool – bewusst eingeführt und genutzt. Das Antragstool ist ein großartiges Beispiel für Onlineprozesse. Es transferiert eigentlich nur einen Prozess ins Netz, den es offline schon gab – das Stellen von Anträgen – aber es verändert auch den Prozess dabei.

Es ist neu, dass Mitglieder online Anträge einreichen und verfolgen können, sehen können was mit ihnen passiert. Das Tool ist einfach nutzbar, die kleine Zahl der nach wie vor offline eingereichten Anträge spricht für eine sehr breite Akzeptanz. Andererseits ist die Menge der Anträge durch das Tool auch nicht angestiegen.

Der tatsächliche Onlineprozess ist vergleichsweise klein – es geht nur um die Einreichung und das Tracking von Anträgen, die online weder bewertet, noch diskutiert, noch abgestimmt werden. Und das ist gut so. Weil es demokratisch ist.

Demokratische Entscheidungen müssen inklusiv sein: Alle haben das Recht sich zu beteiligen. Im Staat bedeutet das, dass alle Bürgerinnen und Bürger wählen dürfen oder für Ämter kandidieren. In Parteien soll jede und jeder Einfluss auf Entscheidungen nehmen können. Bei den Grünen wird dieses demokratische Recht insbesondere durch das Antragsrecht und die Wahl von Delegierten, bzw. die Kandidatur als Delegierte*r, Amts- und Mandatsträger*in umgesetzt.

Dieses Recht auf Beteiligung ist im Hinblick auf Onlineprozesse so wichtig, weil diese inhärent exklusiv sind. Die Annahme, dass das Internet automatisch alle gleich macht und jede*r überall mitreden kann, ist leider falsch. Es gibt unzählige Ungleichheiten im Hinblick auf das Internet. Das beginnt mit dem Zugang, den nicht alle haben, freiwillig oder unfreiwillig. Insbesondere ältere Menschen nutzen das Internet wenig oder gar nicht – diese Menschen wären vom Prozess ausgeschlossen. Diejenigen, die keinen eigenen Zugang haben und stattdessen öffentliche Orte wie Bibliotheken dafür nutzen, sind potentiell benachteiligt – etwa weil sie sich unsicher fühlen, Anträge zu kontroversen Themen zu schreiben, wenn ihnen jemand über die Schulter schauen kann.

Selbst mit DSL daheim ist das Problem aber nicht gelöst. Die Diskussion bleibt zwar häufig bei Zugang stehen, und Zugang allein wird als Vorteil gesehen, aber das ist ebenfalls nicht wahr. Und zwar, weil Ungleichheiten in der Gesellschaft online fortgeführt werden. Eine Benachteiligung, die offline existiert, wird online eben nicht automatisch aufgehoben. Das macht sich zum Beispiel bei unterschiedlichen persönlichen Fähigkeiten bemerkbar. Die Technologie selbst ist eine Barriere, wenn man sie nicht stetig verwendet. Wenn jemand noch nie ein Forum benutzt hat, dann hat diese Person einen Nachteil gegenüber denjenigen, die seit Jahren auf Reddit aktiv sind.

Allgemein haben Menschen mit mehr Fähigkeiten oder Ressourcen Vorteil gegenüber denen ohne. Bei den Grünen ist es beispielsweise so, dass auf BDKen Mandatsinhaber*innen Vorteile gegenüber Basismitgliedern haben können, wenn sie Personal haben, welches sie bei der Vorbereitung unterstützt. Dadurch brauchen sie weniger Zeit, um gut vorbereitet zu sein, was für Delegierte mit einem regulären Job deutlich schwieriger zu erreichen ist. Zeit ist besonders wichtig im Hinblick auf Onlineprozesse, weil online so viel mehr Informationen verfügbar sind, dass mehr Zeit benötigt wird um diese zu bewältigen.

Das Internet kann die Situation besser oder schlechter machen. Fähigkeiten und Nachteile gibt es auch offline. Aber offline gibt es bewährte Methoden für die Minimierung dieser Ungleichheiten. Etwa durch Delegierte, Quoten oder Redelisten. Im Internet ist es schwieriger, diese Faktoren für Ungleichheit zu minimieren, weil es so viele Dinge gibt, die ausschließend wirken können.

Wenn nun also die Piraten das Internet benutzen, um allen die Möglichkeit zur Beteiligung zu bieten, dann werden dabei all diejenigen benachteiligt, die eben nicht jeden Tag ‚ganz natürlich‘ online sind. Die Piraten nutzen das Internet, um allen Beteiligung zu ermöglichen – und die Grünen nutzen es aus demselben Grund nicht; denn online ist nicht ‚für alle‘. Dadurch, dass sich die Grünen dieser Problematik zumindest bewusst sind, können sie daran arbeiten den Prozess so zu gestalten, dass diese inhärente Ungleichheit minimiert wird. Das ehrliche Interesse an Gleichberechtigung im Prozess ist der wichtigste Schritt dahin, diese zu erreichen.


Das vollständige Paper (englisch) kann hier heruntergeladen werden.