Sunday 9 August 2015

Hirnzeit

This post was written for the 'Project PhD' blog project. 


Ich stecke inzwischen bis über beide Ohren im Schreiben dieser Masterarbeit. Ich arbeite jeden Tag daran, schreibe Kapitel, führe Interviews, werte sie aus. Im Schnitt komme ich mit ungefähr tausend Worten pro Tag ganz gut voran. Und trotzdem habe ich mich in meinem Leben noch nie so faul geführt. Ja, ich arbeite jeden Tag, aber eigentlich sind das nur jeweils 3-4 Stunden. Manchmal weniger, manchmal etwas mehr, aber im Schnitt sind es deutlich unter dreißig Stunden pro Woche, die ich tatsächlich an meinem Dokument sitze.  Für jemanden der gewohnt war 100 bis 120 Stunden pro Woche zwischen Vollzeitjob, Ehrenamt und Studium zu arbeiten ist das verschwindend wenig.

Die übrige Zeit schaue ich Serien, lese Romane, treffe mich mit Freunden. Das ist wichtig, dieses 'andere Leute treffen', gerade jetzt. Nachdem ich zwei Wochen lang nur am Schreibtisch saß, hin und wieder aufstand und in die Küche ging um mir einen neuen Tee zu machen, fiel mir auf, wie einsam ich mich bei diesem Schreiben fühle. Da ich noch keinen Platz in der Uni haben, kann ich nur zu Hause arbeiten. Das bin ich gewohnt, ich hab ja nicht umsonst jahrelang an der Fernuni studiert. Nur irgendwie hatte ich erwartet dass dieses Studium anders wird, sozialer, mit mehr Interaktion und Gesprächen mit Leuten die meine Interessen teilen. Also ist es nötig, einfach mal die Arbeit Arbeit sein zu lassen, raus zu gehen und mit meinen Kommilitonen in den Pub zu gehen. Zumal ich mir sicher sein kann dass wir dort ja auch über unsere Arbeit sprechen. Und bei diesen zwanglosen Gesprächen kommen bisweilen ja auch sinnvolle neue Gedanken zustande.

Das Ausgehen kann ich vor mir selbst also noch rechtfertigen. Stundenlang Zeug zu schauen oder meine frisch erstandene Sammlung Romane der Brontë-Schwestern zu lesen, nicht so sehr. Aber ich weiß halt auch, dass es nichts bringt mich zu zwingen den ganzen Tag zu arbeiten. Oder eine Mindestzeit lang. Wenn ich mich zwingen würde fünf Stunden pro Tag zu schreiben käme bei zweien davon nur Mist heraus. Wenn ich zwanghaft zweitausend Wörter schreiben, oder fünf Paper lesen müsste, könnte ich das zwar, aber ein großer Teil davon wäre wertlos. Jeder der das mal versucht hat weiß wie wenig von Texten im Hirn hängen bleibt wenn man sie mit einem matschigen Hirn liest.

Wirklich produktiv schreiben tue ich Vormittags. Je früher ich anfange, desto besser. Ab zwölf schaltet mein Hirn langsam runter, und nach 14 Uhr noch zu schreiben ist meistens aussichtslos, es sei denn ich muss dabei nicht denken. Wenn ich mein Thema sehr gut kenne, und sozusagen nur aufschreibe was ich ohnehin weiß, kann ich das auch später, oder Abends bei einem Glas Wein tun. Aber dieses richtige Schreiben, bei dem ich durchgehend Sachen nachschlagen, referenzieren, zitieren muss, bei dem ich denken muss, bei dem ich neue Ideen bilden und verknüpfen muss, da geht das nicht. Das geht nur mit einem frischen Hirn, und nur in kurzen Schüben.

Und daher kommt dann das Gefühl von Faulheit. Ich nutze die Zeit in der ich produktiv arbeiten kann (okay, meistens, manchmal fange ich auch erst um 12 an). Wenn ich merke dass ich nicht mehr kann höre ich auf. Manchmal mache ich nur eine Pause, und setze mich danach noch einmal für eine Stunde hin, meistens lasse ich es dann aber ganz sein, einfach weil ich merke dass ich mich nicht mehr genug konzentrieren kann um sinnvolle Sachen zu schreiben. Ich kann ohnehin nichts dagegen tun dass mein Kopf im Hintergrund Dinge die ich gelesen und geschrieben habe weiter verarbeitet, versteht, neue Schlüsse zieht. Dafür liegt immer ein Post-It-Block bereit, und ab und an notiere ich dann nebenbei Gedanken die ich in meiner nächsten produktiven Phase in die Arbeit einbaue.

Auf die Art habe ich inzwischen 150% des Textes geschrieben den ich brauche - das obere Limit für die Arbeit sind 15.000 Wörter, ich bin bei 22.700. Ich habe den ersten Entwurf der Arbeit, mit Ausnahme kleinerer Abschnitt, fertig. Alles was in die Arbeit soll ist jetzt da, und ich habe eine ungefähre Ahnung welche Geschichte ich damit erzählen möchte. Ich weiß in etwa welche Erkenntnisse wichtig sind, und wie ich sie argumentieren kann. Ich muss nun noch die gesamte Arbeit zu einem einheitlichen Text verarbeiten, der all die Einzelteile miteinander verknüpft.

Ich habe noch immer keine Ahnung wie ich all das was ich gelernt, verstanden und verarbeitet habe mit der Theorie verknüpfen soll auf die ich es aufbauen will - davon erzähle ich später noch einmal mehr, wenn ich (hoffentlich!) eine Lösung gefunden habe. Bis dahin schreibe ich einfach weiter an der Arbeit, beziehungsweise streiche, denn ich muss sie deutlich kürzen! Viel Zeit habe ich nicht mehr - heute in drei Wochen muss ich die fertige Arbeit abgeben.