Tuesday 19 June 2012

Öffentlichkeitsarbeit in der Piratenpartei: Partizipation oder Professionalität?

Kurzform: 

Die Piratenpartei muss sich entscheiden, welche Prioritäten sie für die Öffentlichkeitsarbeit setzen will. Sie schwankt zwischen den Extremen »totale Partizipation« und »reine Professionalität«. In anderen Bereichen werden Notwendigkeiten selbstverständlich akzeptiert, in der Öffentlichkeitsarbeit hingegen nicht. Auch dort sind aber Grundkenntnisse notwendig. Wie diese zwei Extreme zusammengebracht werden können, muss jetzt geklärt werden, denn im Bundestagswahlkampf ist dafür keine Zeit mehr.

Langform:

In letzter Zeit gab es unheimlich viele Diskussionen zur Pressearbeit. Da wurde von Mobbing und Hasskampagnen geredet, von persönlichen Agenden, die einige haben oder nicht haben, es gab viel Krakelerei und wenige sachliche Argumente. Ich möchte auf all das hier nicht eingehen, glaube aber, dass ein paar einleitende Worte dazu unabdingbar sind:

Dass ich allein auf Grund eines einzigen Blogposts in der öffentlichen Diskussion als Taktiererin in diesem Zusammenhang dargestellt werde, verletzt mich. Ich habe in den vergangenen Jahren viel Zeit, Arbeit und Herzblut in diese Partei gesteckt. Ich persönlich habe kein Interesse an Machtpositionen, und ich strebe auch - surprise! - kein  Bundestagsmandat an. Ich habe eine Meinung, aber ich erwarte nicht, dass sie jeder teilt. Ich erwarte lediglich Respekt, wie man ihn vor jedem Menschen haben sollte. Eine Diskussion darüber, ob ich oder andere Personen doof oder nicht doof sind, bringt uns als Partei nicht voran. Ich möchte, dass wir gemeinsam für unsere Ziele streiten - jeder auf seine Art, aber auf keinen Fall gegeneinander.

Was ich mir wünsche ist eine sachliche Diskussion über Öffentlichkeitsarbeit in der Piratenpartei. Ich bin keine PR-Expertin: Ich bin gelernte Kauffrau, ich habe mich in meinem Studium eingehend mit Medien und Marketing  beschäftigt. Ich arbeite nach vielen Jahren im Handel inzwischen seit 1 ½ Jahren im Marketing. Ich habe Kulturwissenschaften studiert, kenne mich mit Kommunikation aus, sehe mich selbst am ehesten als Soziologin. In der Partei bin ich seit drei Jahren, leite seit über 2 Jahren unsere Mitgliederzeitung und habe ein Jahr lang die Öffentlichkeitsarbeit koordiniert und umstrukturiert. Ich habe keine formelle Ausbildung - nur reichlich Erfahrung. Auf Grund dieser Erfahrung habe ich eine Meinung dazu, wie Öffentlichkeitsarbeit für die Piratenpartei funktionieren kann und wo die Probleme liegen.

Grundsatzdiskussionen müssen jetzt geführt werden, damit wir 2013 einig sind

In der Bundestagswahl 2013 werden wir uns eine solche Grundsatzdiskussion nicht mehr leisten können. Wir müssen sie jetzt führen. Es gibt Fragen, die wir für uns gemeinsam beantworten müssen, bevor wir in den Wahlkampf starten. Eine der ersten für die Öffentlichkeitsarbeit – aber nicht nur dort – relevanten Fragen, ist, wo wir unsere Prioritäten setzen wollen: Ist uns Partizipation oder Professionalität wichtiger?

Unter Partizipation verstehe ich: Jeder kann alles machen, sich einbringen wo und wie er möchte. Das Prinzip entspricht der Ideologie vieler Piraten. Die Arbeitsweise ist manchmal kräftezehrend, aber alle Beteiligten fühlen sich gut damit; aber nicht jeder will sich so beteiligen, die Qualität der Arbeit variiert stark und das Tempo bzw. die Reaktionsgeschwindigkeit ist vergleichweise niedrig, was Reaktionen auf aktuelle Geschehnisse kompliziert macht.

Unter Professionalität verstehe ich: Leute die sich mit Dingen auskennen, erledigen sie. Das ist für sie recht einfach und geht fix, bedeutet aber, dass eben nicht jeder überall mitmachen kann, weil ein Mindestlevel an Vorkenntnissen notwendig ist. Das ermöglicht aber effektive Arbeit und schnellen, qualitativ wenig schwankenden Output, ist aber frustrierend für diejenigen, die gern mitmachen möchten und sorgt bisweilen für Grüppchenbildung, wobei sich Gruppen dann potentiell nach außen abschotten.

Was in der Verwaltung selbstverständlich ist, wird in der Öffentlichkeitsarbeit nicht akzeptiert

Interessanterweise wird in der Verwaltung ohne große Diskussion auf Professionalität gesetzt. Unser Generalsekretär muss in allererster Linie fähig sein, mit Mitgliederdaten umzugehen. Kaum jemand würde dem Bundesschatzmeister ins Handwerk reden. Wir vertrauen darauf, dass unsere Amtsträger dort genau wissen, was sie tun. In der Öffentlichkeitsarbeit ist das anders.

Viele, die einmal eine Pressemitteilung (PM) gelesen haben, glauben zu wissen, wie man diese gut schreibt. Viele, die ein Interview sehen, glauben zu wissen, dass sie es besser machen könnten. Viele setzen Öffentlichkeitsarbeit gar mit PMs gleich, oder gehen davon aus, dass, wenn wir nur genügend PMs schreiben, die Medien automatisch auf unsere Themen anspringen werden. Weil Öffentlichkeitsarbeit naturgemäß öffentlich sichtbar ist, hat dort jeder eine Meinung und möchte sich einbringen. Wenige wissen, oder sind auch nur bereit zu glauben, dass auch dort Fachwissen notwendig ist.

Öffentlichkeitsarbeit ist genau wie Buchhaltung oder Datenschutz eine Profession, und das nicht ohne Grund. Expertise ist dort genau so unverzichtbar wie in der Verwaltung. Genau wie ein Bundesschatzmeister sich mit gesetzlichen Rahmenbedingungen und  (Personal-)Buchhaltung auskennen muss, ist es in der Öffentlichkeitsarbeit unerlässlich, gewisse Grundlagen zu kennen. Zum Beispiel die Position von Medien in unserer Gesellschaft, die Funktionsweise von Redaktionen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen oder allgemeine Standards auf diesem Feld. Je nachdem, wie man die Öffentlichkeitsarbeit angehen möchte, sind auch die Definition der Zielgruppe (wen wollen wir eigentlich erreichen?), die Ziele der Kommunikation (wie wollen wir uns darstellen?) und die Kriterien und Priorisierung der Themen (was kommunizieren wir und warum?) relevant. Nur Informationen und eine Meinung machen noch keine brauchbare Öffentlichkeitsarbeit, Ideologie kann eine Strategie nicht ersetzen und Partizipation allein genügt nicht, um eine Platzierung von Themen zu gewährleisten.

Auch in einer Mitmachpartei geht Öffentlichkeitsarbeit nicht ohne Grundlagenkenntnisse

Man kann natürlich auf all dies verzichten und "einfach machen". Aber: Wenn man nicht weiß, wie Redaktionen arbeiten, ist es deutlich schwieriger, Pressemitteilungen so zu schreiben, dass sie auch tatsächlich aufgegriffen werden. Wenn man seine Zielgruppe nicht kennt, kann man die Nachricht, die man kommunizieren will, nicht in ihre Sprache verpacken und so für bestmögliche Rezeption sorgen. Das gilt insbesondere dann, wenn man mit Multiplikatoren (also Medien) arbeitet. Wenn man die Gesetzmäßigkeiten und Standards nicht kennt, schießt man schnell am Ziel vorbei oder darüber hinaus.

Journalisten sind in den seltensten Fällen unsere Freunde. Sie sind Menschen, die einen Job machen. Dieser Job hat mit Informationen und ihrer Filterung, kritischen Verarbeitung und Verbreitung zu tun. Sie filtern für die Gesellschaft die nach ihrer Ansicht relevanten Informationen. Was sie aufarbeiten und ihrem Publikum vorsetzen sollen, muss darum ihren Relevanzkriterien entsprechen. Dazu gehören mit Sicherheit die üblichen Standards: neu, interessant, relevant. Aber ebenso werden sich dort Fragen nach ihrer Zielgruppe finden, nach Auflagenzahlen, Kampagnen und der Laune des Chefredakteurs. All diese Einflüsse sollte man einschätzen können, wenn man mit ihnen arbeitet.

Medien sind Gatekeeper und werden es bleiben

Das Internet hat nur wenig Einfluss darauf, dass die klassischen Medien eine  Gatekeeperfunktion haben - uns das wird auch in der Zukunft so bleiben. Daran ändern auch die Klickrate unserer Bundeswebseite, die 100.000 Follower von @Piratenpartei auf Twitter oder die 75.000 Fans auf Facebook wenig. Wir brauchen die klassischen Medien, wir brauchen die Journalisten, wenn wir einen Großteil der Bürger erreichen wollen. Darauf sollten wir unsere Öffentlichkeitsarbeit einstellen. Darum müssen wir uns entscheiden, wie wir unsere Öffentlichkeitsarbeit angehen wollen.

Die Lösung kann nur ein Mittelweg sein

Nur mit Profis geht es nur in einem professionellen, bezahlten Umfeld. Nur mit Crowdsourcing kann man nicht die bestmöglichen Ergebnisse erzielen. Aber Partizipation und Professionalität schließen einander nicht aus: Wichtig ist bei der Professionalität der Fokus auf Fachkenntnisse, nicht deren Abgrenzung. Natürlich kann man mit Schulungen und anderen Angeboten andere befähigen mitzumachen - der Wille dazu sollte da sein, gerade bei den Fachleuten die Wissen weitergeben können. Ebenso darf es bei der Partizipation auch auch nicht um das bloße Mitmachen im Sinne von »Jeder kann alles machen nur weil er will« gehen. Auch hier muss der Wille, sich ernsthaft zu beteiligen und die notwendigen Kenntnisse zu erwerben vorhanden sein. So dass jeder die Möglichkeit bekommt, sich seinen Stärken entsprechend ein- und die Gruppe so voranzubringen.

Wir müssen akzeptieren, dass es Profis gibt und dass wir ihre Fachkenntnisse brauchen, wenn wir erfolgreich sein wollen. Jeder, der mitmachen möchte, muss bereit sein, das Handwerk zu lernen. Umgekehrt müssen aber auch die Piraten mit Fachkenntnissen bereit sein, ihr Wissen zu teilen und ihr Tun zu erklären. Das darf aber nicht in stetige Rechtfertigungen ausarten, weil ihre Expertise nicht respektiert oder ihr sogar misstraut wird. Ohne Vertrauen auf beiden Seiten kann es nicht funktionieren. Nur wenn wir einander vertrauen können wir, als die starke Gemeinschaft die wir sind, die Politik verändern.