This post was written for the Green Party Germany, following the publication of my second paper about my research with them in 2018. The original post can be found on their participation blog.
Es gibt
diese Grundannahme, dass das Internet Beteiligung ganz prinzipiell einfacher
und besser macht. Es ist schließlich fast jeder online, heutzutage, und welchen
Grund gäbe es da, sich
nicht online in
Parteiprozesse einzubringen? Leider ist das so einfach nicht,
wie
ich schon in einem früheren Beitrag erklärt habe.
Seit zwei
Jahren erforsche ich nun den Effekt der Einführung der neuen
Onlinebeteiligungsprozesse, insbesondere die Mitgliederbefragung und das gerade
eingeführte Mitgliederbegehren. Dazu habe ich diverse BDK'en und Workshops
besucht, mit vielen Mitgliedern, Funktionsträgern und Angestellten gesprochen,
und eine Reihe von Umfragen analysiert. Die ersten Ergebnisse dieser Forschung,
basierend auf Interviews von November 2016 bis Januar 2017, und der ersten
Umfrage im April 2017, liegen jetzt vor. Es zeigt sich ein recht gemischtes
Bild der Vorstellungen und Wünsche von Mitgliedern, und ein interessanter
Vergleich zu der geplanten Beteiligung an den neuen Prozessen.
In meinen
Beobachtungen und Interviews zeigte sich ein sehr klares Bild was die
Erwartungen an die neuen Onlinebeteiligungsprozesse angeht: Sie sollten mehr
Mitgliedern ermöglichen sich einzubringen, und die Beteiligung für alle
einfacher machen. Vor allem aber für alle
anderen. Eine der herausragenden Erkenntnisse aus der Analyse dieser
qualitativen Daten ist, dass sich die Hoffnungen und Erwartungen (und auch die
Ängste!) der Mitglieder primär auf andere
beziehen. So erwarten Mitglieder ohne Kinder, dass Eltern von den neuen
Prozessen profitieren werden; ältere Mitglieder nehmen an die Prozesse kämen
vor allem jüngeren Mitgliedern zu Gute (weil die sowieso immer online sind),
während jüngere Mitglieder vor allem Vorteile für ältere sehen (die weniger
mobil sind und daher nicht zu Veranstaltungen kommen können). Es scheint würde
die eigene Erfahrung mit Onlineprozessen - die fast durchweg positiv ist - auf
andere übertragen. Zumeist in der Annahme, dass diese Anderen diese Erfahrung bislang nicht haben.
|
Erfahrung
|
Erwartung
|
Begünstigend
|
4
|
12
|
Begünstigend für andere
|
7
|
8
|
Begünstigend für sich
|
9
|
1
|
Nachteilig
|
1
|
5
|
Nachteilig für andere
|
3
|
8
|
Nachteilig für sich
|
0
|
0
|
Ausgleichend
|
2
|
4
|
Tabelle 1: Gegenüberstellung der codierten Aussagen zu Erfahrung mit
und Erwartung von Onlinebeteiligung.
Leider lässt
diese Annahme meist außer Acht, dass es viele Gründe dafür gibt, dass sich
Menschen eben nicht online einbringen. Und so zeigt sich denn auch in den
Ergebnissen der ersten Umfrage, dass diejenigen die tatsächlich vorhaben ihre
Beteiligung mit den neuen Prozessen zu intensivieren eher nicht diese anderen sind, sondern zumeist diejenigen, die
bereits recht aktiv sind.
Der 'Digital
Divide' in der Gesellschaft zeigt sich auch in der Partei - zumindest was die
Mitgliederbefragung angeht. Da wäre zunächst die Bildung: Mitglieder die
promoviert haben planen sich mehr einzubringen als andere, gefolgt von anderen
Universitätsabschlüssen. Das ist geradezu klassisch für den 'Digital Divide'.
Ähnlich verhält es sich mit dem Alter: Je jünger das Mitglied, desto
wahrscheinlicher wollen sie sich mehr beteiligen. Besonders interessant ist das
Geschlecht: Frauen haben deutlich weniger vor ihre Beteiligung zu erhöhen als
Männer. Angesichts all der Prozesse die bei Beteiligung offline angewandt
werden um Geschlechtergerechtigkeit zu erhalten - die Quote, die getrennten
Rednerlisten - und umgekehrt die Abwesenheit solcher Prozesse bei Beteiligung
online, ist dieses Ergebnis wenig überraschend. Frauen sind insgesamt in der
Gesellschaft weniger online, ziehen weniger Nutzen aus dem Internet wenn sie
online sind, und sind auch in der Politik insgesamt weniger engagiert. Dieser
Effekt zeigt sich auch bei den Grünen, wenn die Kontrollen zur
Geschlechtergerechtigkeit fehlen. Das stimmt allerdings nur für die Teilnahme
an der Mitgliederbefragung.
Grafik 1: Zusammenfassung von zwei statistischen Modellen: Die
Antworten auf die Frage 'Wie wird sich Deine persönliche Beteiligung durch
diese Prozesse [Befragung & Begehren] verändern', und die Antwort 'Ich
werde mich mehr beteiligen'.
Für das
Mitgliederbegehren sieht das Modell deutlich anders aus. Hier fehlen die
Kategorien aus dem 'Digital Divide' - weder Alter noch Geschlecht noch Bildung
spielen eine Rolle. Stattdessen ist die bereits praktizierte Internetnutzung
wichtig - je mehr ein Mitglied online ist, desto eher plant es sich durch das
Begehren mehr zu beteiligen. Wer sich durch die Befragung mehr einbringen will,
plant auch sehr deutlich eine erhöhte Beteiligung durch das Begehren - was sich
als genereller Enthusiasmus für Onlinebeteiligungsprozesse interpretieren
lässt.
Besonders
spannend bei diesem Modell ist nicht der Einfluss von Geschlecht, sondern eine Interaktion zwischen Geschlecht und
Institutioneller Aktivität. Diese Aktivität leitet sich als Faktor aus den
verschiedenen Beteiligungskanälen (Versammlungen, Mailinglisten, Social Media)
und -arten (Abstimmungen, Diskussionen, Anträge), sowie der Position innerhalb
der Partei ab. Sie besagt, dass inaktive Frauen sich im Vergleich zu ähnlich
inaktiven Männern nicht mehr beteiligen wollen, wohingegen aktive Frauen sich
im Vergleich zu ähnlich aktiven Männern deutlich mehr beteiligen wollen. Daraus
lässt sich keine Kausalität ableiten - ob es nun Beteiligung ist, die Frauen
selbstbewusster macht sich mehr einzubringen, oder selbstbewusste Frauen sich
mehr beteiligen, lässt sich nicht sagen. Was sich aber sagen lässt, ist dass
Frauen wenn sie einmal aktiv sind - egal ob das online oder offline ist - auch
bei Begehren mehr einbringen wollen.
Grafik 2: Interaktion zwischen Geschlecht und Institutioneller
Aktivität
Zuletzt gibt
es eine Reihe von Faktoren die sowohl für die Beteiligung an der Befragung als
auch am Begehren relevant sind. Das ist zum einen besagte Institutionelle
Aktivität. Die Korrelation ist hier für beide Prozesse negativ - bereits sehr
aktive Mitglieder haben nicht vor, sich mit diesen Prozessen mehr zu beteiligen. Das kann allerdings
durchaus daran liegen, dass es bei 'Hochaktiven' einfach nicht mehr viel Luft
nach oben gibt. Ob sich ein Mitglied über Onlinekanäle beteiligt ist hingegen
ein für beide Prozesse positiver Faktor: Mitglieder die bereits online aktiv
sind, haben auch vor sich durch die neuen Prozesse mehr zu beteiligen. Zuletzt
spielen die Beteiligungspräferenzen eine Rolle. Mitglieder die die Beteiligung
an Abstimmungen höher bewerten als die an Diskussionen haben bei beiden
Prozessen vor, sich mehr einzubringen. Mitglieder die Gleichberechtigung bei
Beteiligung höher bewerten als die größtmögliche Beteiligung, wollen ihre
Beteiligung hingegen nicht erhöhen.
Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass sich der 'Digital Divide' aus der Gesellschaft auch bei
den Grünen wiederspiegelt, allerdings eher in der Beteiligung an der
Mitgliederbefragung als am Mitgliederbegehren. Während die Beteiligung an der
Befragung deutlich von gesellschaftlichen Ungleichheiten geprägt ist, sind für
die Beteiligung am Begehren eher Internetaffinität und Beteiligungspräferenzen
relevant. Für die Partei bedeutet das, dass sie diese Entwicklung zumindest
langfristig beobachten sollte, damit sie, wenn sich ein Trend in der
tatsächlichen Nutzung der Prozesse abzeichnet, dem entgegensteuern kann. In
diesem Licht betrachtet macht es beispielsweise sehr viel Sinn, in
Onlineprozessen jeweils das Geschlecht der Beteiligten abzufragen, und vielleicht
sogar in der Auswertung anzugleichen (beispielsweise durch eine höhere
Bewertung der Antworten von Frauen). Langfristig sollte gerade im Hinblick auf
Geschlechtergerechtigkeit überlegt werden, wie sich die Prozesse die sich
offline bewährt haben - wie etwa die Rednerlisten - auch online umsetzen
lassen.