Sunday 25 March 2012

Keine Zeit, Vertrauen aufzubauen

Hallo Sven.

Sehr erstaunt habe ich Deine Mail und Deinen Blogpost gelesen
Ich habe Dich vor ein paar Monaten als sehr engagierten Piraten kennengelernt. Das war  lange bevor in NRW über Neuwahlen gesprochen wurde, ich glaube sogar noch vor der Parlamentsauflösung im Saarland. Du hast Dich damals bei mir gemeldet, weil Du in der Öffentlichkeitsarbeit, vielleicht auch als persönlicher Assistent bei mir mitarbeiten wolltest. Ich war erfreut, einen so motivierten Piraten gewonnen zu haben, der programmatisch und organisatorisch richtig viel machen will. Ich hatte den Eindruck, dass Du Dich gut in die Partei einarbeitest, langsam lernst wie Piraten ticken und auch sonst etwas auf dem Kasten hast. Dass Du für die Liste in NRW kandidieren wolltest, habe ich erst durch Deinen Blogpost erfahren. Was kein Problem ist, es war mir nur neu. Hätte ich es gewusst, hätte ich Dir vielleicht davon abgeraten. Und weil ich vorher die Chance dazu nicht hatte, möchte ich das nun nachholen - auch wenn es schon zu spät ist.

Du beschreibst Methoden, die auch ich nicht gutheißen kann - auf die ich hier aber explizit nicht eingehe - ich war nicht dabei, ich kann und will diese Situation aus der Ferne nicht beurteilen. Aber Du klagst die Piraten auch an, sie würden sich als Mitmachpartei darstellen, aber diesem Anspruch nicht gerecht werden. Dem möchte ich heftig widersprechen. Und weil dieses Thema mir - und im Moment sicher auch vielen anderen Piraten - wichtig ist, tue ich das öffentlich.

Du warst nach Deinem Blogbeitrag drei Monate lang in der Piratenpartei aktiv. In dieser Zeit hast Du in der Öffentlichkeistarbeit der Bundespartei (SG Presse & SG Webseite) mitgearbeitet. Du hast die Koordination einer AG übernommen und dort an unserem Programm gearbeitet. Du hast mit mir direkt zusammengearbeitet (wenn auch nicht viel) und dort zumindest eine wichtige Aufgabe übernommen. Zuletzt hast Du im Wahlkampf mitgeholfen. Wie einfach ist es, denkst Du, in den "großen" Parteien an PMs mitzuschreiben oder die Leitung einer Arbeitsgruppe zu übernehmen? Du hast an so vielen Stellen innerhalb der Piratenpartei die  Möglichkeit zum Mitmachen genutzt, dass ich mich ernsthaft frage, wie Du  den Mitmachcharakter der Piraten noch in Frage stellen kannst.

Du machst Deine Anklage daran fest, dass Deine Tätigkeit, Deine Pläne, Deine Agenda für die Listenwahl in NRW nicht relevant waren. Dass lediglich nach der Dauer der Mitgliedschaft gefragt wurde. Ich kann verstehen, dass Dich das frustriert - aber versetz Dich einmal auf die andere Seite:

Es gab in NRW weit über 100 Kandidaten. Viele von diesen waren dem Großteil der Piraten unbekannt. Die "alten" kennen sie noch nicht, die "neuen" selbst ebensowenig. Die Neuwahl wurde, wie es in ihrer Natur liegt, kurzfristig angesetzt. Dementsprechend ist wenig Zeit, sich mit den einzelnen Kandidaten zu beschäftigen, keine Zeit sie kennenzulernen und sie bei der Arbeit zu beobachten, ihr Engagement, ihre Aufrichtigkeit zu beurteilen. Keine Zeit, Vertrauen aufzubauen. Aber Vertrauen ist notwendig, um eine so wichtige Aufgabe wie einen Listenplatz - und damit potentiell ein Mandat im Landtag - für die Piraten zu übernehmen. Dort spräche man für den gesamten Landesverband, alles was man dort tut fällt mindestens auf den LV, wenn nicht auf die Gesamtpartei zurück. Ganz zu schweigen davon, dass unsere Abgeordneten auch unsere Wähler vertreten!

Es ist nur verständlich, dass die Piraten dort Parteimitglieder haben möchten, denen sie vertrauen. Du kennst vielleicht die Geschichte unserer Partei nicht so genau. Aber google mal nach dem Namen Aaron König, zum Beispiel. Oder schau Dir gewisse Mandatsträger in Mecklenburg oder Niedersachsen an. Die Piraten sind in dieser Hinsicht gebrannte Kinder. Sie sind inzwischen zu groß, um sich noch mehr solche Ausfälle zu leisten. Diese Listenplätze sind zu wichtig, um das Risiko einzugehen, dort Idioten hinzuwählen. Und genau darum ist Vertrauen an dieser Stelle der Schlüssel zu allem.

Du solltest bei Deiner Tätigkeit in der Partei eigentlich gemerkt haben, dass wir Piraten Neumitgliedern grundsätzlich ziemlich viel Vertrauen entgegenbringen. Üblicherweise werden Neupiraten, die sich engagieren möchten, mit offenen Armen empfangen und schnell eingebunden, können Aufgaben und Verantwortung übernehmen - so wie Du in der AG Friedenspolitik, zum Beispiel. Aber mit wie vielen Piraten hast Du in Deinen drei Monaten Tätigkeit zusammengearbeitet? Wie viele Mitpiraten können beurteilen, wie ernst Du Dein Engagement meinst, ob Du wirklich langfristig dabei bleibst und wo die Schwachstellen in Deiner Persönlichkeit liegen? 

Die Art Vertrauen, die für einen Listenplatz oder auch einen Vorstandsposten notwendig ist, muss man sich erarbeiten. Mitmachen können bedeutet eben nicht, alles auf dem Goldtablett dargeboten zu bekommen nur weil man es gern hätte. Nur engagiert zu sein genügt nicht. Nur Ideen zu haben genügt nicht. Man muss diese - gerade in der Politik! - auch bekannt machen, für sich und die eigenen Vorstellungen Werbung machen, Mitstreiter suchen, sich in die Gruppe eingliedern. Um für eine große Gruppe - wie zum Beispiel einen LV - Verantwortung zu übernehmen, sollte man in diesem zumindest bekannt sein. Du solltest die Piraten nicht nur im Nachbardorf kennen, sondern die Piraten landesweit sollten zumindest eine Vorstellung davon haben, wer Du bist und was Du tust. Du solltest das nicht in einer Kandidatenvorstellung erklären müssen - die Piraten sollten das bereits wissen, wenn sie Deinen Namen auf der Kandidatenliste lesen. Die Gruppe muss Dir ein tiefes Vertrauen entgegenbringen - das erzeugt man nicht durch eine gute Vorstellung, sondern nur durch gute, langfristige Arbeit! Die beste Agenda hilft nicht, wenn sie niemand kennt - vor allem, wenn es eine von 150 Agenden ist.

Die  "Alten" unter uns, selbst die nach dem Mitgliederschub von 2009, hatten inzwischen Zeit sich kennenzulernen. Die Aktiven haben sich hervorgetan und Vertrauen gewonnnen. Fast alle Piraten, die in Vorständen oder Beauftragungen tätig sind, sind in diese Position gekommen, indem sie sich dort hin gearbeitet haben. Nicht gekatzbuckelt oder intrigiert, nicht gekauft. Sie haben sich in der überwiegenden Mehrheit durch andauernde und stetige Arbeit einen Namen gemacht. Sind bekannt geworden, weil sie etwas geleistet haben und haben sich damit das Vertrauen der Gesamtgruppe - egal auf welcher Ebene - verdient. Das schlug sich in Ämtern, Verantwortung und schließlich auch in Mandaten nieder.

Mitmachpartei zu sein bedeutet zwar, dass jeder Neupirat auf jeder Ebene mitarbeiten kann, aber nicht, dass jeder sofort auf jede Position gewählt wird. Weder wird ein Neupirat Bundesvorstandsvorsitzender werden, noch wird ein im Land weitgehend unbekannter Pirat für uns in den Landtag gehen. Weil wir ihm vertrauen können müssen. Das trifft dann auch Leute die es nicht treffen sollte. Ich bin sicher, dass einige nach dem Erfolg in Berlin beigetretenen Piraten für Posten geeignet sind. Aber wir können eben nicht wissen wer. Und im Vergleich zum Risiko, Kuckuckseier in Parlamente zu schicken, ist der Preis bei diesen auf die Wahl zu verzichten eher klein. Wenn Du ein wenig gewartet hättest, Dich eingearbeitet und dieses Vertrauen verdient - ich bin sicher, dass Du das hättest schaffen können - dann hättest Du einer dieser Piraten werden können.

Liebe Grüße,
Gefion